Privatheit – mehr als zuhause

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Ein spezielles psychosoziales Bedürfnis, das enge Berührungspunkte mit Autonomie hat, ist die Privatheit. Sie ist eine Form des Abgeschieden-Seins von der Öffentlichkeit, von den Einflüssen und der Kontrolle durch andere und trägt maßgeblich zu unserem Erholungs-, Autonomie- und Ich-Empfinden bei. Privatheit schafft einen ungestörten Raum für die eigene Identität und wirkt damit auf unser Selbstbild und unseren Selbstwert.

 

„Die Wertschätzung der Privatheit rührt von der emotionalen Entlastung her. Ein Rückzug aus sozialen Interaktionen ermöglicht ein being off stage, ein Unbeobachtet-Sein, freies Agieren, Gefühle zeigen und aus sozialen Rollen herauskönnen.“ A. Flade

 

Frei von Rollenerwartungen

Das angeführte Zitat zeigt, welche Bedeutung soziale Rollen und vor allem entsprechende Erwartungen in Bezug auf unser Privatheitsempfinden haben. In unserer Privatheit müssen wir nicht – wir können einfach sein. Tiefe, wohltuende und salutogene Privatheit erfahren wir in Momenten, in denen wir keinen emotionalen, sozialen oder anderweitigen Druck verspüren und nicht daran denken, bestimmten Rollenbildern, Vorstellungen und Anforderungen gerecht zu werden.

 

Auflösung der Privatheit

In den letzten Monaten haben viele von uns einen weiteren Verlust von Privatheit kennengelernt, der auf der Entgrenzung von Arbeitswelt und Zuhause beruht. Wenn Home-Office tatsächlich in einem eigens dafür vorgesehenen Raum sattfinden kann, so gibt es zumindest Grenzen zwischen Arbeit und Zuhause in Form einer Tür, die man nach „Büroschluss“ zumachen kann. Dass das mitunter als zu geringe Trennung empfunden wird und dass diese Art des auch reale soziale (Arbeits-)Kontakte nicht ersetzen kann, lasse ich einmal so stehen. Vielfach finden virtuelle Meetings, Weiterbildungen und sonstige Termine am Esstisch, Schreibtisch im Kinderzimmer oder auf der Couch statt – einfach, weil die räumlichen Ressourcen nicht vorhanden sind oder weil die Idee, Arbeit „gemütlich“ zu machen (vor allem bei der Couch-Variante), so verlockend ist. Doch diese Entgrenzung untergräbt unser Privatheitsempfinden, denn plötzlich werden Räume und Plätze, die vorher von außen nicht einsehbar waren, anderen Personen virtuell zugänglich, selbst wenn wir diese physisch niemals nachhause einladen würden. Wenn wir zu dieser Form der Entgrenzung noch die Nutzung Sozialer Medien hinzufügen, in denen die Grenzen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit verschwimmen, bleiben wenige Bereiche übrig, die wirklich nur uns gehören.

 

Die Rollen verschwimmen außerdem, wenn wir durch das Arbeiten von zuhause mehreren Anforderungen aus unterschiedlichen Lebensbereichen gleichzeitig gegenüberstehen, z.B. während eines Meetings von unserem Platz am Esstisch aus sehen, dass die Wäsche vom Vortag noch hängt und die Brösel vom Frühstück noch am Boden liegen. Kein Intsagram-tauglicher Zustand – bei anderen sieht‘s nie so aus. Es entsteht zusätzlicher Druck, der durch Privatheit aufgelöst werden kann, sofern sie vorhanden ist. Home-Office gilt daher zugleich als Herausforderung und Möglichkeit, die es ausgewogen anzupassen gilt.

Being off stage

Von der Bühne des Lebens verschwinden und unbeobachtet dem nachgehen, wonach uns gerade ist. Die Vorstellung allein kann schon dazu führen, dass wir tief einatmen und uns dadurch Raum in uns selbst schaffen. Heutzutage sind wir so oft on stage, dass Privatheit wichtiger ist denn je. Sie zählt zu den psychosozialen Grundbedürfnissen und ist unabdingbar, wenn es darum geht, zwischendurch wirklich abschalten zu können.

„Deine Seele braucht Spielraum“ – eine schöne Vorstellung, oder? Wenn uns der Raum für uns selbst fehlt, kommt dieser Spielraum abhanden. Spielraum hat auch immer mit Facettenreichtum und Wandelbarkeit zu tun, mit Ausprobieren und Einfühlen, mit Bewegung und Freisein. Indem wir uns selbst, unserer Privatheit und unserer Weiblichkeit Raum geben, schaffen wir die Möglichkeit, echt zu sein, uns kennen zu lernen und Ausdruck zu verleihen und das zu nehmen, was wir gerade brauchen.

 

Wie schaffen wir Privatheit im Alltag?

Wir unterstützen die Erfüllung des Bedürfnisses nach Privatheit, indem wir tatsächlich einen Bereich in der Wohnung schaffen, der nur uns gehört, den wir mit Privatheit verbinden. Haben wir den Luxus eines eigenen Raumes, der nur uns zur Verfügung steht, können wir dort Pausen verbringen und Aktivitäten zur Erholung sowie Mußezeiten nachgehen. Das trägt zu einem Empfinden von Erleichterung bei und steigert unser Erholungs- und Entspannungsniveau. Insbesondere in „hochfrequent-exponierten“ Zeiten wie der Elternschaft bringt ein solcher persönlichen Bereich, dessen Grenzen die anderen Familienmitgliedern respektieren, deutliche Erleichterung.

Im persönlichen haben Handys oder sonstige elektronische Geräte im besten Fall keinen Platz, denn Privatheit braucht Selbstbestimmung und Kontrolle in Bezug auf Störfaktoren von außen. Außerdem lenken sie ab von dem, was wirklich wichtig ist: wir selbst.

Darüber hinaus vermittelt die Vorstellungen eines Inneren Raumes Privatheit.

 

Ich wünsche Euch in den nächsten Tagen genügend Raum für Privatheit, um richtig schön abzuschalten, Kraft zu tanken und Euch vom Sein küssen zu lassen 😉

 

Alles Liebe,

Eure

Esther

 

Photo by Randy Fath on Unsplash

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